SOEG


Als wir unseren Sommerurlaub 1996 im Zittauer Gebirge verbrachten, war es das letzte Jahr, in der die Deutsche Bahn AG für die Betriebsführung zeichnete. Wir hatten unser Hotel schon im Frühjahr gebucht und in den Eisenbahnzeitungen war damals zu lesen, dass die Deutsche Bahn schon mit dem Fahrplanwechsel Ende Mai 1996 den Betrieb einstellen wird. Da wir erst im August Urlaub hatten, war das natürlich Pech für uns. Zum Glück kam es anders.
Zittau und natürlich erst recht Oybin liegen im meist östlichen und abgelegenen Zipfel Deutschlands (Sachsens) an der Grenze zu Polen und der tschechischen Republik. Nach Dresden sind es zwar nicht mal 100 km aber die Bahnverbindungen und die Straßen sind dermaßen schlecht, dass wir einen Tag für die Anreise einplanen mussten.
Unser Hotel war die "Teufelsmühle", direkt an der Schmalspurbahn nach Oybin gelegen. Ein gleichnamiger Haltepunkt befindet sich nur wenige Meter vom Hotel entfernt. Das Hotel liegt am Ausgang des Goldbachtales in einer Talenge, die sich Bahn, Bach, Straße, Wanderweg und Wald teilen müssen. Von hohen Bäumen umgeben, macht die Szenerie einen sehr romantischen Eindruck.


Das Goldbachtal. Am Ende des Tales die Teufelsmühle, am linken Waldrand die Bahn. Im Hintergrund die Stadt Zittau.
Blick in das Goldbachtal vom Berg Oybin

Wanderwege durchziehen das Zittauer Gebirge wie Löcher den Schweizer Käse. Viele führen zu den bizarr geformten Felsen und auf die Höhen des Gebirges. Am Parkplatz des Hotels Teufelsmühle befindet sich ein Knotenpunkt von Wander­wegen und ein großer Wegweiser zeigt in allen Himmelsrichtungen. Es gibt jede Menge wunderschöne Aussichtspunkte, Aussichtsberge, Ausflugslokale ("Bauden") und alles auf relativ kleiner Fläche. Überall wo man hinkommt, ist die Bimmelbahn auch nicht weit. Die lauten Warnsignale der Einheitsdampfpfeifen der kleinen Loks dringen bis in die äußersten Winkel des Gebirges vor. Das Gebiet ist daher ideal für das "Bahnwandern".
Der Stadtkern des Kurortes Oybin liegt etwa 2 km südlich der Teufelsmühle. Große alte Hotels und viele Ferienheime zeugen von einer großen Vergangenheit in der Touris­tik­branche. Obwohl es August ist, haben wir heute den Kurort quasi für uns allein. Wenige Touristen haben sich auf den Terrassen am Fuße der bekannten Bergkirche unten am Berg Oybin niedergelassen. Die paar Autos, die vorbeifahren, sind fast alle aus dem Ort. Es ist viel zu ruhig! Mir kommt der Gedanke, dass bei solch einem bescheidenem Andrang, die Bahn nicht viele Zukunftschancen hat. Von der anderen Seite stellt die Bahn (besonders für mich) einen Anreiz dar, das Gebiet zu besuchen. Das Ende der Bahn wäre wahrscheinlich der Todesstoß für die Touristik im Zittauer Gebirge. Der staatlich verordnete Urlaub von einst hat fürs Überleben der Bahn gesorgt. Nun, nach der Wende, kann die Bahn für den Tourismus von Bedeutung sein.
Der Bahnhof mit der Bezeichnung "Kurort Oybin" am Fuße des Berges Oybin hat ein wunderschönes Empfangsgebäude. Seine Größe belegt die Bedeutung, welche die Bahn zu ihren Glanzzeiten hatte. Ein kleiner Wasserturm mit Wasserkran und ein Güterschuppen ergänzen die Ausstattung des Bahnhofes. Leider wurden in den vergangenen Jahren die Gleisanlagen auf das allernotwendigste reduziert, so dass heute der Güterschuppen ohne Gleisanschluss ist. Eine schöne Aussicht auf den Bahnhof hat man vom Berg Oybin. Es lässt sich von oben verfolgen, wie der Zug in den Bahnhof einfährt, die Lok abgekoppelt wird und an den Wasserkran vorrollt. Nach dem Wassernehmen umfährt die Lok den Zug, koppelt "falsch herum" an das andere Ende des Zuges und wartet dort auf die Rückfahrt. Das Lokpersonal setzt sich derweil auf eine der vielen Bänke, genießt das Wetter und isst seine Butterbrote. Von oben kann man hören, wie der Heizer dem Zugführer etwas zuruft. Mit seiner lauten Stimme und dem typisch rollenden "R", das dem Dialekt der Gegend eigen ist, übertönt er die zischende und pumpende Lokomotive.


099 729-6 vor dem Bahnhof Kurort Oybin
Die "sächsische VII K" Lok setzt um im Kurort Oybin

Wir beobachten, wie viel (besser : wie wenig!) Passagiere aussteigen. Etwas später kommen die ersten, die mit dem Zug in Richtung Zittau fahren wollen. Viele gehen auch wieder nachdem sie die Lokomotive bestaunt haben. Väter erklären an der Lok ihren Söhnen, wie das mit der Dampfmaschine funktioniert, während die Mütter mit den Töchtern in einem der Wagen Platz nehmen. Es ist uns unerklärlich, wie man einen solchen Aufwand treiben kann; etwa 10 Passagiere sind im Zug als dieser abfährt. Da muss jede Fahrt einige tausend Mark kosten (3 Mann Personal im Zug, 3 Mann in den Bahnhöfen und im Stellwerk, Personal für die Lokpflege im Betriebswerk, Administration, Treib- und Schmierstoffe, Kosten für Strecke und Material, usw.) und der Zug fährt trotzdem jede Stunde! Wir sind der Meinung, dass der Betrieb nicht so weitergeführt werden kann! Sollte die Bahn in private Hand kommen, kann nur am Betrieb mit den Dampflokomotiven gespart werden. Später stellen wir fest, dass die Bahnstrecken auch von Bussen bedient werden, die zu einem niedrigeren Tarif auch noch schneller sind als die Bahn. Sollte die Bahn fort­bestehen, dann müsste der parallele Busverkehr eingestellt werden. Busse sollten die Querverbindungen übernehmen und so einen Zubringerdienst zu der Bahn bilden.


099 724-7 unter Volldampf zwischen Teufelsmühle und Oybin
Zwischen Teufelsmühle und Oybin am Bahnübergang

Trotz der Gedanken, die wir uns über die Zukunft der Bahn machen, genießen wir in erster Linie den puren Dampfbetrieb. Bei unseren Wanderungen wird die Bahn mit in die Planung einbezogen. Nach und nach fahren wir die drei Streckenäste mehrmals in beiden Richtungen ab. Besonders zu dem Bahnhof Bertsdorf mit seinem besetzten Stell­werk, seinen Wasserkränen, Lokschuppen und besonders seiner interessanten Bahnsteig­überdachung zieht es uns immer wieder hin. Hier kann man manchmal drei Züge gleichzeitig antreffen. Ein Zug kommt von Zittau hoch und fährt weiter nach Oybin. Von Oybin ist gerade der Zug nach Zittau eingetroffen und der Zug von Jonsdorf lässt auch nicht lange auf sich warten. Dieser Zug wird gleich wieder nach Jonsdorf zurückfahren. Passagiere aus allen Zügen haben hier Anschluss in allen Richtungen. Die Maschine für Jonsdorf wird abge­koppelt, geht in der Ausfahrtskurve nach Jonsdorf Wasser fassen und setzt sich dann wieder mit ihrem Kamin vorne an ihren Zug.
Als Eisenbahnfreund weiß man gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll. Achtungspfiffe erklingen und der Zug nach Zittau setzt sich in Bewegung. Am Bahnübergang flitzen schnell noch die letzten Autos über die Gleise. Der Lokführer pfeift noch mal ordentlich und voller Ehrfurcht halten die letzten Trabbis vor dem Übergang. Sie haben mit ihrer Pappe keine Chance gegen die wuchtigen und massiven VII K Maschinen. Auch die beiden anderen Züge fahren nun ab. Quasi zur selben Zeit, aber nicht so, dass man eindeutig von einer Doppelausfahrt sprechen kann. Der Mann im Stellwerk hängt aus seinem Fenster und grüßt die vorbeifahrenden Lokpersonale. "Der ideale Fotostandpunkt, dort oben", denke ich noch. Die Auspuffschläge der beiden Maschinen sind noch eine ganze Weile zu hören. Es geht halt steil hinauf durch den Wald nach Jonsdorf und auch nach Oybin-Niederdorf hat die Maschine eine beachtliche Steigung zu bewältigen. Nach einer Weile kehrt wieder Ruhe ein in Bertsdorf. Leise hören wir noch einige Pfiffe. Es ist schwierig auszumachen, aus welcher Richtung die Pfiffe kommen. In einer Stunde sind die Züge wieder zurück und geht das Schauspiel von neuem los.


099 728-8 im Bahnhof Bertsdorf (23.7.96)
Zug nach Jonsdorf steht abfahrbereit in Bertsdorf

Bei einem obligatorischem Besuch an die Kreisstadt Zittau werfen wir auch einen Blick in das Betriebswerk. Eigentlich gibt es zwei Betriebswerke; das Schmalspur- und das Normalspurbetriebswerk der DB liegen Rücken an Rücken. Teilweise sind beide Spurbreiten vermischt und ein 750 mm Gleis führt über eine Rampe an die normalspurige Drehscheibe. Ein normalspuriger Flachwagen für die Verladung der Schmalspurlokomotiven steht am Kopf der Rampe. "So werden also die Lokomotiven zur Ausbesserung gefahren", denke ich, " und so könnte man auch die Schmalspurloks wenden, wenn man wollte". Aber das Wenden der Schmalspurloks ist nicht nötig, sie stehen alle mit der Rauchkammer nach Süden, in Richtung Gebirge. Auf einer Kreidetafel am Tor des Rechteckschuppens sehen wir, welche "sächsische VII K" Lokomotiven im Einsatz stehen. Im Halbdunkel des Schuppens erspähen wir die "Hofdame" und eine weitere VII K. Die "Hofdame" ist eine besondere Lokomotive. Sie trägt die Nummer 99 4532-0 und wurde 1924 an die Trusetalbahn in Thüringen geliefert. Nach einem Gastspiel auf Rügen kam die D-gekuppelte Lok nach Zittau, wo sie nach einigen Umbauten über Jahre den Rangierdienst versorgte.

Im August 1996 waren folgende Lokomotiven in Zittau im aktiven Dienst:

Nummer DB     Ex-DR.   Baujahr  Besonderheit
099-724-7  =  99 735  1928     Frisch untersucht
099-728-8  =  99 749  1929
099-729-6  =  99 750  1929
099-731-2  =  99 758  1933
099-733-8  =  99 760  1933
099-751-0  =  99 787  1954    "Neubau"

Im Schuppen war die "Hofdame", die 99 4532-0, abgestellt.

Alle (099 731-2 ?) waren auf Heizölfeuerung umgebaut. Das hatte für uns den Effekt, dass die Loks nicht "dampften". Die Abdampftemperatur und die Temperatur der Rauchgase war wohl so hoch, dass der Dampf an der Luft nicht kondensieren konnte. Schade um die sinnlos verpulverte Energie.


Die "Hofdame" 99 4532-0 im BW Zittau (16.9.77)
Die "Hofdame" September 1977 in Zittau

Als ich vor zwanzig Jahren schon mal in Zittau war, habe ich die Hofdame "Life" erlebt. Damals kam mir die Maschine ein wenig spielzeughaft vor. Mit ihrem Außenrahmen sah sie gar nicht so imposant aus, wie die reichlich vorhandenen VII K Lokomotiven. Die Fotoausbeute fiel 1977 entsprechend mager aus. Ihre Daseinsberechtigung fand die Maschine an den Rollwagengruben, wo sie im Rangierdienst die Rollwagen für den Güterverkehr verschob.


99 1746-9 stellt einen Zug bereit, Zittau, September 1977
Ebenfalls 1977, die Bereitstellung eines Zuges in Zittau

Der Schmalspurbahnhof in Zittau liegt auf der rechten Seite vor dem Hauptbahnhof. Das Betriebswerk liegt auf der linken Seite vor dem Normalspurbetriebswerk. Diese Anordnung führt dazu, dass die Schmalspurzüge vor dem Hauptbahnhof her vom Betriebswerk in den Schmalspurbahnhof und zurück fahren müssen. Das war in 1977 so, was diese beiden Fotos beweisen und das war in 1996 immer noch so. Heute wie damals geht ein Beamter mit einer roten Fahne vor dem Zug her und kümmert sich darum, dass die Bahnübergänge zum Hauptbahnhof frei sind.


99 1759-2 überquert den Bahnhofsvorplatz Zittau (September 1977)
Zug kreuzt den Bahnhofsvorplatz Zittau (1977)

Vom Schmalspurbahnhof aus fährt die Zittau-Oybin-Jonsdorfer-Eisenbahn (ZOJE) in östliche Richtung. Am östlichen Bahnhofskopf kreuzt sie die Normalspurstrecke, die zu tschechischen Republik führt, und verläuft dann am Fuße des Bahndammes zur Neiße­brücke. Nachdem die Neiße­brücke unterquert ist, kommt man nach Zittau Vorstadt. Hier biegt die Bahn in südliche Richtung ab und führt über Olbersdorf in Richtung Bertsdorf, wo sie nach Oybin und Jonsdorf verzweigt. Große spektakuläre Kunstbauten sind der Bahn nicht eigen. Eine größere Stahlbrücke führt über den Ort Olbersdorf und in Zittau teilt sich die Bahn eine Brücke mit dem Straßenverkehr. Am Bahnübergang warnt ein supermodernes Verkehrsschild vor dem nahenden Zug. Dass nach so einem Schild manch einer nicht schlecht staunt, wenn eine Dampflokomotive vorbeifährt, kann ich mir lebhaft vorstellen. Bei modernen elektrischen Bahnen trifft man dagegen sehr oft noch das antiquierte Schild mit der Dampflok an.

E-Lok statt Dampflok
Vorsicht Dampflok!

© 1997 - 2021  Gerard Clemens  letzter Update 22.05.2021