Die Korkenzieherbahn
An einem Samstag im März 1973 machten wir rein zufällig Bekanntschaft mit der
Korkenzieherbahn. In einem Café auf dem historischen Marktplatz von Solingen Gräfrath fragte
man mich - wohl aufgrund der Kamera, die ich um den Hals trug - ob wir auch die Dampflok fotografieren
wollten. Eigentlich hatten wir das gar nicht vor und wollten nur den schönen historischen Kern des
Stadtteils Gräfrath fotografieren. Aber eine Dampflok hatte ich schon ewig nicht mehr gesehen
und wir ließen uns diese Gelegenheit nicht entgehen. Der Bahnhof war nicht weit vom historischen
Kern entfernt. Ganze Herden von Menschen
hatten sich schon da eingefunden und warteten auf den Zug.
Nach einiger Zeit kam eine Dampflok um die Kurve. Sie schleppte einige Reisewagen, unter den sich auch ein DSG Speisewagen befand. Der Bahnhof Gräfrath war zu dieser Zeit schon der Endpunkt der Linie von Vohwinkel. Die Fortsetzung der Strecke in Richtung Solingen Wald war schon stillgelegt und deswegen musste die Lok, eine 94er, in Gräfrath umsetzen. Die 94 1730 war den Anschriften nach in Wuppertal Vohwinkel beheimatet und die Sonderfahrt wurde von der DGEG organisiert, weil wohl der Einsatz der ehemaligen preußischen T16 in Vohwinkel kurz vor dem Ende stand.
Diese erste direkte Begegnung mit der Dampflok war für mich der Anlass, mich näher mit den Bahnstrecken im der näheren Umgebung unseres damaligen neuen Wohnortes Haan zu befassen. Die Suche nach den letzten noch verbliebenen Dampflokomotiven und deren Einsatzstrecken wurde zu einem wichtigen Aspekt meines Eisenbahnhobbys.
Der Bahnhof Gräfrath an dieser seltsam gekrümmten Nebenbahn hat mich seitdem stark interessiert. Wanderungen und Radtouren, oft auch Geschäftliches oder die Fahrt ins Solinger Zentrum führten an Gräfrath und seinem Bahnhof vorbei. Selten hatte ich das Glück mal einen Zug auf der Strecke zu sehen. Ausgerechnet dann, wenn eine V60 mit einigen Wägelchen über die Strecke zuckelte, hatte ich keinen Fotoapparat dabei oder hatte keine Zeit, mir den Betrieb mal genauer anzuschauen. Immer nahm ich mir vor, mir an einem freien Werktag die Zeit zu nehmen, das Geschehen fotografisch festzuhalten. Dazu ist es eigentlich nie gekommen. Heute (2002), fast 30 Jahre später, sind die Schienen verschwunden, die Trasse ist an manchen Stellen zugeschüttet und von Bäumen und Sträuchern überwuchert. Stützmauern, Überführungen, Brücken und andere Kunstbauten sind noch da aber wegen des Gestrüpps kaum noch als solche zu erkennen. Der einst so typische bergische Bahnhof Gräfrath ist stark heruntergekommen und wird zusehends baufällig.
Für den Eisenbahnarchäologen ist die Korkenzieherbahn ein sehr ergiebiges
Objekt (im Jahr 2002). Die Stilllegung der letzten Abschnitte der Strecke liegt weniger als 10 Jahre
zurück und deswegen sind die Spuren in der Landschaft viel deutlicher auszumachen als z.B.
bei der Boxteler Bahn. Auf der topografischen Karte
1:50.000 von 1968 ist die Bahn noch im vollen Umfang
enthalten. Fangen wir entgegen der Kilometrierung der Bahn in Vohwinkel an, wo sie auf der Südseite des
Rangierbahnhofes am
Der letzte Wasserkran in Wuppertal.
Im Hintergrund das Osterholz.DB-Signalwerk vorbei
über die Unterführung der Strasse "Zur Linden" fuhr. Die Gleise liegen zum Teil noch heute
und dienen nur noch dem Anschluss des Signalwerkes. Quasi oben auf der Unterführung befand sich lange
Zeit der letzte (Dampflok-) Wasserkran Wuppertals. Irgendwann war er verschwunden, um dann sauber
gestrichen wieder vor dem Lokschuppen in Vohwinkel aufzutauchen. Da war dem Kran kein langes
Leben vergönnt, da sich die Bahn bald darauf komplett aus dem ehemaligen BW zurückzog. Was wohl
aus dem Kran geworden ist?
An der westlichen Gleisharfe des Rangierbahnhofes löste sich
die Korkenzieherbahn vom Rangierbahnhof und begann langsam an Höhe zu gewinnen. Im Dreieck zwischen
der Gleisharfe und der Korkenzieherbahn hinter dem westlichen Stellwerk des Rangierbahnhofs war
und ist heute noch eine kleine Schrebergartensiedlung. Einst gab es an dieser Stelle eine
komplett andere Einfädelung der Korkenzieherbahn in die Hauptstrecke zwischen Gruiten
und Vohwinkel. Die Überreste eines Brückenkopfes sind auf der Südseite erhalten. Der am
Überführungsbauwerk im Norden anschließende
Bahndamm
wurde bei der Anlage der Ost-West S-Bahn S-8 abgetragen. Die
Korkenzieherbahn hat nun die Gemarkung "Obgruiten" erreicht und umrundet auf einem
enormen Damm im 180 Grad Bogen ein kleines Bachtal (das Tal der "Kleinen Düssel").
Diverse Unterführungen
und Durchlässe sind relativ
gut erhalten. Kein Wunder, weil die Streckenführung erst in den den Anfangsjahren des letzten Jahrhunderts
realisiert wurde. Im Tal innerhalb des runden Bahndammes entstand ein kleines sehr abgeschiedenes und
extrem ruhiges Idyll mit dem Namen Gütchen. Nach dem 180 Grad Bogen läuft unsere Strecke wenige Meter
parallel mit der Gruitener Straße, verschwindet hinter der Shell Tankstelle und endet hier erst mal
an einem Damm.
Die Straßenbrücke der B228 über die Korkenzieherbahn wurde vor wenigen Jahren angeblich
wegen Baufälligkeit abgerissen und der Geländeeinschnitt samt Gleise zugeschüttet. Ein Rohr für
Kleintiere verbindet die beiden Streckenäste links und rechts des Dammes. Hintergrund für die
Abriss-Aktion war ein geplantes Logistikzentrum auf dem Gelände des früheren Vohwinkler
Rangierbahnhofs. Die Brücke wäre für den zu erwartenden Schwerlastverkehr zu diesem Logistikzentrum zu
leicht und zu schmal gewesen. Das Logistikzentrum kam wohl aufgrund von Protesten der Anwohner
der B228 nicht zustande. Wenige Meter weiter ist das nächste Brückenbauwerk
erhalten. Diese Brücke
diente bis in den 60er Jahren der Straßenbahn von Benrath über Haan nach Vohwinkel. Heute noch
kann man die Straßenbahngleise
ganz klar erkennen.
Die in den Kurven blankpolierten (aufgeschweißten) Stellen sind auch nach mehr als 30 Jahren noch nicht
vom Rost angegriffen.
Straßenbahn und Korkenzieherbahn laufen nun wenige hundert Meter parallel und näheren sich langsam
der Autobahn A46. Die Straßenbahnstrecke biegt nach links ab, die Bahnstrecke nach rechts auf
die Autobahn zu. Noch vor der Autobahn befindet sich eine "moderne" Beton-Straßenbrücke. Die wenige
Meter weiter gelegene Unterführung der A46 wurde vor einigen Jahren im Zuge des 6-spurigen Ausbaus
gesprengt und in wenigen Tagen zugeschüttet und neu asphaltiert. Ein mannshohes Betonrohr bietet für
Fauna und neugierige Spurensucher einen Durchgang (der später sehr aufwändig mit einer
Gitterkonstruktion wieder versperrt wurde). Gleich nach der Autobahn kreuzt ein Wirtschaftsweg
namens "Fürkeltrath" (heute 2021 Teil des Westrings) die Trasse auf einer schönen und sehr gut erhaltenen
Bogenbrücke.
Es folgt ein kurzer Einschnitt
, in dem eine gemauerte
Vertiefung im Gleisbett noch Fragen aufwirft. Am Eipass vorbei kommen wir nun zur nächsten Straßenbrücke
nahe der bekannten Beerenweinschänke. Vor nicht al zu langer Zeit musste der ganze Verkehr von der A46
zur solinger Innenstadt, der nicht den Umweg über Vohwinkel und die B224 machen wollte, über diese
Brücke fahren. Nach Fertigstellung der Umgehung bedient diese Brücke heute nur noch die Anwohner von
Eipass, Fürkeltrath und des südlich der Trasse gelegenen Teils von Gräfrath. Unsere Bahnlinie macht einen
Bogen nach Süden und befindet sich bald auf einem Damm über den ersten Häusern von Gräfrath. Der
Durchgangsverkehr musste hier erneut die Bahnlinie kreuzen; diesmal mittels einer für viele Fahrzeuge
zu schmalen und niedrigen Unterführung. Der Verkehr wurde mit Ampeln geregelt. Bei der Anlage
der Umgehungsstrasse wurde die
Unterführung
überflüssig. Man hat sie dennoch erhalten und sogar
restauriert. Der Bahndamm oberhalb der Unterführung ist begehbar und mit neuen Geländern
ausgestattet. Immer
Nur die Schilder
und das Kopfsteinpflaster
beweisen, dass hier mal Bahn war noch auf einem hohen Damm geht es
über eine weitere Unterführung
hinweg weiter in Richtung des
Bahnhofes Gräfrath
. Das Gelände des
ehemaligen Güterbahnhofs ist vom einem dichten Wald überwuchert worden. Nur die Schilder und das
obligatorische Kopfsteinpflaster sind sichere Zeichen, dass man sich auf ehemaligem
DB-Gelände befindet. Die Deutsche Bundesbahn musste wohl kurz vor der Einstellung des Betriebes noch
das Schild "Unfallgefahr" aufstellen lassen. Ein Wanderweg auf der Südseite des Waldes gibt ein
wenig weiter die Gelegenheit das Bahnhofsgebäude von oben
zu
betrachten. Das Gelände um den Bahnhof diente längere Zeit einer Spedition
als Parkplatz und wurde deswegen asphaltiert.
Nur an einer Stelle findet man heute immer noch ein Gleisrest
samt Prellbock vor dem
Güterschuppen. Der Güterschuppen und die Laderampen sind durch Witterungseinflüsse stark
beschädigt. Das Holz verfault und das Mauerwerk zerbröselt. Am eigentlichen Bahnhofsgebäude ist noch
der auf den Schiefertafeln aufgemalte, uralte Schriftzug
"Gräfrath Kreis Solingen" zu
lesen, darüber - sehr viel schwächer - die letztgültige Bezeichnung "Solingen Gräfrath". Für ein
Gebäude unter Denkmalschutz ist es ziemlich heruntergekommen. Wenn man von Gräfrath weiter in Richtung
Wald fuhr, kam sofort die Straßenbrücke der B224. Kurz dahinter lagen die letzten Weichen des
Bahnhofes Gräfrath. Die Brücke ist verschwunden, die Straße verbreitert. Südwestlich oberhalb der
Korkenzieherbahn befindet sich das
Der Bahnhof
Gräfrath am 10.3.1973ehemalige Klingenmuseum, das vormalige Rathaus von Gräfrath. Auf der Trasse
unterhalb des Museums sind Parkplätze. Die Trasse der bereits in 1968 abgebauten Teilstrecke von
Solingen Gräfrath nach Solingen Wald führt nun in einem weiten Bogen nach Süden und geht wieder auf
die B224 zu. Die frühere Eisenbahnbrücke über die B224 wurde erst in den 70-er Jahren entfernt.
Der anschließende Bahndamm mit der kleinen Brücke über die Gartenstraße blieb erhalten
und kann heute als Rad- und Wanderweg
benutzt werden.
Bis Solingen-Wald ist dieser Radweg gut ausgebaut. Auf der rechten Seite (Blick nach Norden)
schaut man auf die Stadt Haan mit ihrem Industriegebiet Haan Ost. Hier wird klar, welche Windungen
die Bahn machen musste um von dort ohne nennenswerte Steigungen nach Solingen zu gelangen.
In Wald an der Fuhrstraße endet der Radweg an einem Tor. Bis zum Bahnhof wird die Trasse hier
gewerblich genutzt. Die nächste Möglichkeit, wieder einen Blick auf ein Überbleibsel der Bahn werfen
zu können ist die Unterführung bei der Firma Rabbasol
an der Deller Straße. Am Bahnhof Wald führt eine Brücke über den nördlichen Bahnhofskopf. Das
ehemalige Bahnareal, auf dem keine Gleise mehr liegen, wird ebenfalls gewerblich genutzt. Einige
Umbauwagen stehen auf einem Gleisstück rechts. Vor dem Güterschuppen stehen ebenfalls noch ein Paar
Eisenbahnfahrzeuge.
Das Bahnhofsgebäude an der Holbeinstraße in Solingen Wald mit seinem riesigen Güterschuppen ist gut erhalten. Im Bahnhofsgebäude befindet sich ein Restaurant und die Güterhalle wird als Lagerraum verwendet.
Ausbau der Trasse zum Radweg
Bis hier schildert der Beitrag die Korkenzieherbahn, wie wir sie zwischen 1973 und 2006 kennengelernt haben. Heute 2021 ist die Trasse eine gut ausgebaute Trasse für Fußgänger, Radfahrer und Inline-Skater und führt ohne störenden Autoverkehr fast kreuzungsfrei von Haan nach Solingen Mitte.
© 2002 - 2021 Gerard Clemens letzter Update 18.07.2021
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